Frauke Finsterwalders „Sisi & Ich“ ist ein Film, der in der Dunkelheit der Zeit leuchtet. Er berichtet davon, wie es ist, auf dem angenommenen kulturellen Gipfel höchstverfeinerten Menschseins ganz dem eigenen Innenleben und seinen Projektionen ausgeliefert zu sein. Eine camp-ironische Betrachtung von Wehwehchen des Hochadels in der K+K-Monarchie schließt er mit Popkulturmomenten kurz und zeugt dabei ein Drama von Liebe, Macht und Abhängigkeit.

Die Kaiserin und ihre Hofdame. ©2021 Walker+Worm Film GmbH & Co. KG/ Foto: Bernd Spauke

Auch der Adel hat es bisweilen schwer. Jedoch nicht in erster Linie, weil Bourgeoisie und Revolution stolz ihre Häupter heben, sondern vor allem wegen der schwer erträglichen Etiketten immerzu. So werden Allmacht und andauernde Wunscherfüllung doch beständiger, als es wünschenswert sein kann, durch die Verpflichtung, zu repräsentieren und sich anständig zu benehmen, flankiert.

Für Gräfin Irma (Sandra Hüller) kommt erschwerend hinzu, dass auf ihr und ihren schon stolzen 42 Jahren das gesamte Schwergewicht mütterlicher Erwartungen liegt. Als sie – zunächst auf Probe – ihre Stelle als Hofdame der Kaiserin Elisabeth von Österreich, der von halb Europa vergötterten Sisi (Susanne Wolff), antritt, weiß sie, dass sie keinesfalls versagen darf.

Libertinage, Schatten und Sisi galore

„Sisi & Ich“ ist zehn Jahre nach ihrem mit Preisen überhäuften Erstling „Finsterworld“ der zweite Spielfilm von Frauke Finsterwalder. Erneut hat sie das Drehbuch gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Schriftsteller Christian Kracht verfasst. Dementsprechend Ironie getrieben nimmt die Geschichte zu Beginn ihren Lauf. Zwischen Jobinterviews, körperlichen Strapazen und beherzt ergriffenen Gelegenheiten muss Irma einige Male über ihren Schatten springen, bis sie ihre Rolle gefunden hat. Doch dann verfällt sie mit Haut und Haar dem Glanz ihrer charismatischen Klientin und Monarchin.

Fernab des lästigen Wiener Hofs siedelt der Film das libertäre Leben der Kaiserin auf der griechischen Insel Korfu an. Hier verbringt sie mit ihren Getreuen im gatten- und kinderfreien Refugium ihren langsam heraufdämmernden Lebensabend. Dabei schaltet und waltet sie allein, wie es ihr gefällt. Viel Wert legt sie darauf, dass alle dank Sport und Kokain-Elixieren schlank bleiben, gut aussehen und dass niemals Langeweile aufkommt. Doch dann verlangt es den Kaiser nach Nähe und Unterstützung seiner Gemahlin, womit die sorgenfreien Tage gezählt sind.

Nach Marie Kreutzers vielgelobten Kaiserinnen-Porträt „Corsage“ ist Finsterwalders Film bereits die zweite Auseinandersetzung mit dem Sisi-Mythos, die binnen eines Jahres in die Kinos kommt. Auch hier hat die Ausgestaltung der Rolle kaum etwas mit der Sissi-Verkörperung durch Romy Schneider aus den 1950er Jahren zu tun. An diese knüpfen eher die beiden fast zeitgleich fertiggestellten Serien „Sisi“ (RTL) und „The Empress“ (Netflix) – beide von 2021 – an. Kreutzer wie Finsterwalder geht es dagegen vielmehr darum, dem Mythos der kindlichen Kaiserin eine eigene Lesart entgegenzusetzen.

Anschlüsse, Perspektive, zusätzliches Gewicht

Während bei Kreutzer Vicky Krieps als kratzbürstige Sisi einen Kampf für Individualität und gegen die erstickenden Zwänge und Pflichten des höfischen Lebens führt – durchaus ähnlich übrigens zu Kristen Steward in Pablo Larráins brillantem Lady Di-Drama „Spencer“ (2022) –, weitet „Sisi & Ich“ durch seine geschickt gewählte Erzählperspektive den Fokus.

So kann Finsterwalder nicht nur vorführen, wie Sisi schon zu ihrer Zeit als frühe Blaupause für spätere ikonische Stars von Marilyn Monroe über Lady Di bis zu Madonna funktioniert und welche Anstrengungen die massenhafte Idolisierung kostet.

Durch die Erzählung aus der Sicht der Untergebenen auf die strahlende Heldin gewinnt „Sisi & Ich“ zusätzliches Gewicht, da diese es ermöglicht, das Leiden an der Macht in seiner typischen Vervielfachung zu zeigen. Neben der Kaiserin, die sich der Gewalt des Kaisers eben doch immer wieder schmerzhaft fügen muss – etwa, wenn er sie vergewaltigt–, zeigt sich auch die doppelte Qual der von der Lichtgestalt angezogenen und von ihr abhängigen.

Sie speist sich neben der Weitergabe von Kränkungen von oben nach unten in der höfischen Hierarchie aus der doppelten Last aus Versagung wie Erfüllung des allgegenwärtigen Sehnens nach dem Objekt der Begierde. Sprich: Die Einzigartigkeit der Kaiserin verwandelt ihr Umfeld in aufeinander eifersüchtige Zuwendungs-Junkies, die nach nichts so sehr lechzen wie nach Anerkennung durch die Herrin im Zentrum ihrer Existenz.

„Sisi & Ich“ verwendet große Sorgfalt auf die Inszenierung von Ausstattung und Kostümen, die der Film in kunstvoll fotografierten Bildern in warmer, körniger Analogfilmanmutung präsentiert. Gegen die Konventionen des Kostümfilms setzt er jedoch auf der Tonspur auf Songperlen aus der gegenwärtigen Popkultur, die er die Protagonistinnen mitunter inbrünstig mitträllern lässt. So markiert er die Beziehungen zwischen ihnen als unabhängig von der zeitlichen Einbindung der Charaktere und öffnet den Film auch für ein Publikum, dass sich im Normalfall für historische Stoffe weniger interessieren dürfte.

Von der satirischen Mythenerkundung, die bei überzeichneten Nebenfiguren oder dem Bedienen orientalistischer Klischees auf den Reisen des kleinen Hofstaats durchaus mal ins Alberne abgleitet, entwickelt sich „Sisi & Ich“ so zu einem durchaus ernstzunehmenden Drama. Mit großer Verve verhandelt es die Verletzungen, die die Mechaniken von Ruhm, Macht und Begehren so zeitlos wie verlässlich verursachen.

Sissi & Ich, Regie: Frauke Finsterwalder (132 min) mit Sandra Hüller, Susanne Wolff, Johanna Wokalek u. a.

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