Auch diese Woche starten Filme im Kino. Unter anderem ein Dokumentarfilm über Lars Eidinger, der wie eine gemeinsame Psychotherapie von Star und Publikum wirkt, und Emannuel Mourets „Tagebuch einer Pariser Affäre“ mit Sandrine Kimberlain. Letzterer lässt im Vorfeld als typisch französischer Beziehungsfilm keine allzugroßen Erwartungen aufkommen, besticht dann aber doch in der Ausarbeitung.

Lars Eidinger mit Verena Altenberger im „Jedermann“ (c) Reiner Holzemer Film

Der Getriebene

Lars Eidinger gilt seit Jahren als Ausnahmeschauspieler. Seinen Durchbruch feierte er in legendären Inszenierungen an der Berliner Schaubühne der Nullerjahre. Ihren Höhepunkt fand diese Phase mit der Rolle des Hamlet unter der Regie von Thomas Ostermeier. Gemeinsam haben hier Regisseur und Hauptdarsteller einem Stoff, von dem Ostermeier sagt, er habe ihn zuvor als schon in alle Richtungen überausgedeutetes Drama nie interessiert, völlig neue Lesarten abgerungen. Dafür fassten sie Hamlet als verwöhntes, dickes Kind auf, das vor allem eins sollte: nerven. Genau das gelang der egoman-artistischen Performance Eidingers im Fatsuit, der sein sowieso körperliches Spiel zusätzlich betonte, auf großartige, wenn nicht geniale Weise. Hier wurde tatsächlich ein Klassiker, der in jeder Generation immer wieder neu zum Sprechen gebracht werden muss, mit neuem Leben erfüllt – durch einen Schauspieler, der bereit war, alles zu geben.

Reiner Holzemers Dokumentarfilm „Lars Eidinger – Sein oder nicht sein“ folgt seinem Protagonisten während der Vorbereitungen auf die prestigeträchtige Hauptrolle des „Jedermann“ bei den Salzburger Festspielen. Er begleitet ihn von ersten Kostüm- und Leseproben durch die gemeinsame Entwicklungsarbeit, zeigt einen divenhaft-emotionalen Wutausbruch gegen Regisseur Michael Sturminger, die darauffolgende Entschuldigung und den Applaus der Premiere. Wie man es erwartet, ist der Star, der von sich sagt, er müsse immer mit offenem Visier durchs Leben gehen, habe aber die Angst der Anfangszeit abgelegt, zumeist hauptsächlich mit einer roten Badehose und hohen Schuhen bekleidet.

Lebendig nur im Scheinwerferlicht

Daneben geht der Film zurück an die Ernst-Busch-Schauspielschule, sammelt Bilder aus Filmen und von Dreharbeiten, streift Skandale wie das Fotoshooting vor Obdachlosen mit der selbstentworfenen 500-Euro-Alditüte und befragt Weggefährten. Neben Ostermeier dürfen etwa Isabelle Huppert oder Juliette Binoche Eidingers Wagemut, Präsenz und seinen steten Dienst an der größeren Sache loben.

Vor allem aber gibt Holzemer dem Mimen selbst sehr viel Raum, in immer neuen Anläufen zu formulieren, wie er sich selbst, seine Arbeit, seine Rollen und sein Publikum sieht. Nur auf der Bühne, sagt er, könne er der werden, der er wirklich ist, alle Einschränkungen überwinden und sich fallenlassen. Dafür sei er Schauspieler geworden – aus Motiven heraus, die gerade nicht egozentrisch seien. Im Gegenteil brauche es zum Spielen, wie er es versteht, genau das spielerische Moment; benötige er den Anderen, den Anspielpartner, um aus der Reibung mit ihm etwas entstehen zu lassen. Und er braucht das Publikum. Denn lebendig in seinem Verständnis fühle er sich nur auf der Bühne, im Scheinwerferlicht, unter Beachtung.

Holzemers Film schildert Eidinger als Ehrgeizling und Getriebenen, als bewussten Narziss, der trotz allen Reflektierens immer wieder darunter leidet, wie sehr ihn eine als missgünstig verstandene mediale Öffentlichkeit stetig missverstehe. Insbesondere, wenn er seine Emotionen zeige und sein Inneres nach außen kehre, wie seine Profession es verlangt. Das führe zu Kränkungen, gegen die er sich verteidigen muss, was alles nur noch schlimmer macht. Ein Paradox, fast wie in Maren Ades Film „Alle anderen“ (2009), den Eidinger immer noch zu seinen besten Arbeiten rechnet. Darin spielt er einen Mann, dessen Ehe zerbricht, weil er zu seinen Gefühlen steht, wie es von ihm als zeitgemäßem Partner erwartet wird. Das aber erträgt die Frau nicht.

Viel von dem, was Eidinger sagt, möchte man unterschreiben. Nur wäre es eben wie in einer Beziehung, die funktionieren soll, vielleicht doch ab und zu klug, sich ein Stück weit zurücknehmen. Ein Dokumentarfilm zur Person scheint da wenig hilfreich. Schlimmer aber ist, dass er das Dauerkreisen seines Protagonisten immer weiter nur anfeuert, statt ihm Richtung zu geben.

Lars Eidinger – Sein oder nicht sein, Regie: Reiner Holzemer (92 min) mit Lars Eidinger, Isabelle Huppert, Juliette Binoche u. a.

Sex, Liebe, Altern

Die demographische Entwicklung macht auch vorm Genre der romantischen Komödie und des Beziehungsfilms nicht halt. Charlotte (Sandrine Kiberlain), die Protagonistin in Emmanuel Mourets „Tagebuch einer Pariser Affäre“ ist Mitte fünfzig und Mutter dreier Kinder. Mit dem Wunsch nach Beziehungen und Leidenschaft meint sie abgeschlossen zu haben. Guter Sex hingegen sollte auch ohne verbindliche oder gar verpflichtende Gefühle zu haben sein.

Derart abgeklärt kommt sie Simon (Vincent Macaigne) gegenüber ohne Umschweife zur Sache, als sie einander in einer Bar begegnen. Unbedingt, sagt sie, möchte sie mit ihm schlafen. Am besten sofort und ohne mehr von ihm zu wissen. Damit bringt sie den verheirateten Familienvater zunächst etwas aus dem Konzept.

Andererseits passt ihr Vorschlag aufs Schönste zu seiner während langer Ehejahre heimlich gehegten Phantasie einer geheimen Affäre. Bisher hat er nie gewagt, sie in die Tat umzusetzen, weil er Angst vor den Komplikationen hatte, die sich daraus ergeben könnten. Mit Charlotte scheint jedoch alles denkbar einfach zu sein. Es geht allein um den Augenblick. Ansprüche aneinander, Eifersucht und Szenen werden qua Verabredung ausgeschlossen.

Körper und Sprache

Was beide allerdings ebenso verbindet wie der Sex – den der Film fast gänzlich im Off und damit in den Köpfen des Publikums spielen lässt – ist ihre Freude am Reden. Von Anfang an sagen sie einander sehr offen, was sie denken und wollen. Insbesondere Simon muss, wenn er verlegen ist, gänzlich ungefiltert alles aussprechen, was ihm durch den Kopf geht. So kommen die beiden einander und auch den Zuschauern schnell näher.

Experimentelle Herangehensweisen ans Thema Begehren und sexuelle Verwirklichung sind im Kino nicht gerade Neuland. Emmanuel Mourets Film jedoch untersucht sie auf originelle und intelligente Weise. Dabei widmet er sich ganz seinen beiden Hauptfiguren. Als von ihren Begierden getriebene sind die fortwährend auf der Suche nach den richtigen Worten. Daraus resultieren nicht nur immer wieder in der Tat verblüffend witzige Dialoge, sondern auch eine stete Rastlosigkeit der Charaktere.

Diese äußerst sich vor allem in einem unaufhörlichen Bewegungsdrang, der die Protagonisten und den Film insgesamt einer ungewissen Zukunft entgegenzutreiben scheint. Immer wieder verschwinden Charlotte und Simon während ihrer fortgesetzten Unterhaltung hinter Regalen oder Zimmerecken, gehen der Kamera verloren und tauchen wieder im Bild auf. Oder sie nehmen einander an der Hand, um gemeinsam zum nächsten Stelldichein zu sprinten.

Im Cinemascopeformat folgt die Kamera ihnen so in Wohnungen, Parks, Hotelzimmer und Berglandschaften. So entsteht trotz der rigiden Fokussierung auf die Hauptfiguren nie der Eindruck, man wohne einem Kammerspiel bei.

Trotz dieser visuellen Öffnung des Films bleibt alles, was nicht direkt mit der Affäre zu tun hat, auf der Bildebene außen vor. Simons Frau und Kinder kommen ebenso wie Charlottes Umfeld allein in den Aussagen der beiden Protagonisten vor. Ein jeder neuen Begegnung vorangestelltes Datum zeigt, wie viel Zeit zwischen ihren Treffen vergeht. Und das heißt zumindest in der ersten Hälfte der Handlung: immer weniger. Bald sehen Charlotte und Simon einander dauernd – und immer häufiger kommen sie nicht darum herum einander zu sagen, wie sehr sie das genießen.

Raum durch Auslassungen

Nicht von Liebe zu sprechen, fällt dabei vor allem Simon zunehmend schwer. Aber auch an Charlottes Mimik ist abzulesen, dass die Unverbindlichkeit der Beziehung, die keine sein darf, an ihre Grenzen kommt. Einmal taucht sie sogar unangekündigt an Simons Arbeitsplatz auf, was für erste Irritationen im Verhältnis sorgt.

Denn selbstverständlich kann kein einmal für gut befundener beglückender Schwebezustand beliebig lang aufrechterhalten werden. Auch Charlotte und Simon brauchen irgendwann neue Herausforderungen. Also daten sie eine junge Frau für eine Ménage-à-trois: Louise (Georgia Scalliet). Eine Erfahrung, die Veränderungen nach sich ziehen wird.

Interessant an „Tagebuch einer Pariser Affäre“ ist vor allem, wieviel Raum der Film dem Publikum durch bewusste Auslassungen gibt. An einer Stelle sagt Simon, dass er bei keinem Treffen wirklich weiß, ob es danach ein weiteres geben wird. Nach dem geschlossenen Pakt gehört das zum Spiel und macht mit dessen Reiz aus. Auch der Zuschauer weiß nicht mehr, sondern muss Dialoge und Gesichtsausdrücke ebenso interpretieren wie die Beteiligten. Daraus erwachsen ein Sog und ein Interesse an den zunächst unspektakulär wirkenden Charakteren, die über kurz oder lang zu wirklicher Anteilnahme mit ihnen führt.

Gerade durch die selbstauferlegte Zurückhaltung gelingt es Emmanuel Mouret mit seinem gut aufgelegten Team, dem französischstem aller Genres, dem dauerpalaverndem Beziehungsfilm neue interessante Seiten abzugewinnen – ganz ohne auf erotische Oberflächenreize zu setzen.

Tagebuch einer Pariser Affäre, Regie: Emmanuel Mouret (100 min) mit Sandrine Kiberlain, Vincent Macaigne u. a.