Wofür braucht es in Zeiten der Digitalisierung eigentlich noch Malerei? Was unterscheidet ein gutes Bild von einem schlechten, jenseits des persönlichen Geschmacks? Wie positioniert sich ein Maler mit punkig gegenkultureller Vergangenheit im durch und durch Geld getriebenen Zentrum des globalen Kunstmarkts? Und: Ist Film das richtige Medium, um all diese Fragen zu verhandeln?

Der Künstler bei der Bildauswahl © B | 14 FILM, Foto: Daniel Gottschalk

Drei Jahre lang hat Regisseur Pepe Danquart Daniel Richter in dessen Auftrag begleitet, um Antworten zu finden. Der so entstandene, häufig spitzbübische Film lebt vor allem von der abgeklärten Selbstinszenierung seines Protagonisten. Er unterhält und nimmt Betrachter*innen mit ins Herz der Kunstproduktion – hier das von Papageien durchflatterte Atelier Richters.

Von den jungen Wilden zur reflektierten Selbstinszenierung

Daniel Richters von Comickunst und Agitprop beeinflusste Anfänge liegen, wie sich herumgesprochen haben dürfte, im Hamburg der 80er Jahre. Im Umfeld des heute legendären Musik-Labels Buback – das der Künstler seit einigen Jahren als alleiniger Eigentümer betreibt – hat er Plattencover und Plakate für Punkbands und Veranstaltungen entworfen. Erst mit knapp dreißig ist er an die Kunstakademie gekommen, wo er bei Werner Büttner, einem damals schon ehemaligen jungen Wilden der Malerei, studierte.

Zunächst ganz der Abstraktion zugeneigt, schlichen sich spät figurative Elemente in seine Kunst ein, die sie ab etwa 2000 schließlich immer erzählerischer werden ließen. Da erzielten seine Gemälde, die bei aller Größe und Explosivität immer auch durch handwerkliche Akkuratesse in den Details bestachen, bereits Höchstpreise am Kunstmarkt. Das hielt ihn allerdings nie davon ab, das gewählte Medium mit neuen Arbeiten stets aufs Neue zu hinterfragen und regelmäßig mit einmal gefundenen Bildroutinen zu brechen.

Danquart, der 1994 für seinen gut gemeinten, aber ungemein didaktischen Kurzfilm „Schwarzfahrer“ einen Oscar erhielt, begleitete als Dokumentarfilmer unter anderem 2011 in „Joschka und Herr Fischer“ bereits den ehemaligen deutschen Außenminister. Für seinen Ansatz, Fischer viel Raum zum Reden zu geben, handelte er sich damals überwiegend negative Resonanz ein. Als zu wenig kritisch und deutlich distanzlos wurde das Ergebnis angesehen.

Auch Richter erhält von Danquart viel Platz, um über seine Arbeit, die Malerei im Allgemeinen, den Kunstmarkt als Luxuswarengeschäft und seine Rolle darin zu räsonieren. In diesem Fall gelingt es aber gerade durch die Nähe zum Protagonisten, nicht nur dessen Gedanken und künstlerische Praxis kennenzulernen. Der persönliche Zugang ermöglicht Einblicke in Schaffensprozess und Medium, die anders nicht zu erhalten wären.

Geduld und Erkenntnis

Im Atelier lässt sich die Kamera Zeit, minutenlang auch monotone Vorarbeiten zu studieren und dynamische Mal-Attacken wie akribische Korrekturarbeiten zu verfolgen. Auch Pausen für Bildbetrachtungen oder Lockerungsübungen werden registriert. Über die Laufzeit des Films von fast zwei Stunden begleitet man so Farbschicht um Farbschicht die Entstehung eines großformatigen Gemäldezyklus – von der zweifarbigen Grundierung der Leinwandhintergründe bis zur Ausstellung der fertigen Werke in New York.

Dabei wird die Kunstproduktion als Aneinanderreihung einer Vielzahl in erster Linie malerischer Entscheidungen erfahrbar. Welche Farbe wird in welcher Flächigkeit aufgetragen, welcher Kontrast ist an welchem Übergang erforderlich, wie dynamisch muss die Linienführung sein – und soll das Ganze auf der Leinwand vielleicht doch etwas mehr nach links oder aber direkter in die Mitte?

Hingegen enthüllt sich das Thema, das die Bilder behandeln, erst ganz zum Schluss. Da zeigen sie sich die mit ihrer Vollendung als monumentale und mit Störungen überzogene Variationen eines von einer Feldpostkarte aus dem Ersten Weltkrieg stammenden Motivs zweier Kriegsversehrter in knalligen Farben.

Genau dieses Aufeinanderprallen von Schwere und Leichtigkeit ist Herzstück von Richters Kunst. Mit Mitteln der Malerei kommentiert sie plakativ, was der Künstler in den Erzählungen unserer Kultur an Überbleibseln archaisch-barbarischer Vorzeit ausmacht. In frühen Zyklen waren das etwa die falsche Romantisierung gewaltförmiger Strukturen in Werbung und Berichterstattung, wie sie sich für Richter vor 9/11 im medialen Bild der Taliban zeigte. Immer wieder ging es auch um Unterdrückung von Frauen oder die technologisch immer ausgefeiltere industrielle Vernichtung junger Männer in Kriegseinsätzen.

Bild und Film

Danquarts geduldiges Einlassen auf den Zusammenhang aus Produktion und Reflexion sowie die gelungene Montage von Atelier und Außenwelt machen Richters Vorgehen nachvollziehbar und gießen seine Malerei in überzeugende Cinemascope-Bilder. Nicht zuletzt die Wahl dieses Formats erweist sich als kluge Entscheidung. Einerseits gibt es die Größe der einzelnen Bilder adäquat wieder. Andererseits ermöglicht es Zusammenschauen von Reihen und Hängungen. Und immer wieder bildet es den Künstler in unterschiedlichen städtischen und kulturellen Kontexten ab, mal als deren gefeiertes Zentrum, ein andermal als zurückgezogenen Betrachter am Rand. Oder einfach als Plattenkäufer, der seiner Sammelleidenschaft durch das Geld, das er als Großkünstler verdient, heute nach Herzenslust frönen kann.

Darüber scheint er immer noch bisweilen überrascht: Schließlich ist, was er produziert in keinem Fall anderes als Öl auf Leinwand. Das sei, wie er sagt, prinzipiell ziemlich aus der Zeit gefallen. Und gleichzeitig für überraschend viele Zeitgenossen etwas, dass sie überraschend wertschätzten.

Daniel Richter, Regie: Pepe Danquart (147 min) mit Daniel Richter, Jonathan Meese, Tal R u. a.

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