Genres setzen Filmen Grenzen. Sie ermöglichen es aber auch, auf diese Grenzen hinzuweisen, sie zu verwirren und in ihrem Rahmen über Konventionen nachzudenken. Sehr gern etwa über Geschlechterrollen und den filmischen und gesellschaftlichen Blick darauf. Gerade in den Kinos angelaufen sind der verrätselte südkoreanische Thriller „Die Frau im Nebel“ vom seit längerem als Großmeister gehandelten Regisseur Park Chan-wook und der Debutfilm von Alex Schaad „Aus meiner Haut“.

Verdächtige und Kommissar hinter Glas: „Frau im Nebel“ © Plaion Pictures

Stilvoll verrätselt

Am Fuß einer steilen Bergwand wird die Leiche eines abgestürzten Bergsteigers gefunden. War es ein Unfall, Selbstmord oder Mord? Mit der Klärung betraut wird Chang Hae-joon (Park Hae-il), ein erfahrener Kommissar der alten Schule. Zusammen mit seinem Assistenten (Go Kyung-pyo) hat er sich zuletzt vor allem mit liegengebliebenen Fällen und den Launen seines Chefs herumschlagen müssen.

Dazu leidet er unter Schlaflosigkeit, derentwegen er häufig nächtliche Observationen übernimmt. Privat führt er eine oberflächlich glückliche Wochenendehe mit seiner Frau (Lee Jung-hyun) am anderen Ende Koreas. Während der langen Autofahrt dorthin findet er sich vor Müdigkeit immer wieder im Gegenverkehr wieder.

Als er der Witwe des Toten Song Seo-rae (Tang Wie) begegnet, ist die vom Tod ihres Ehemanns offensichtlich wenig berührt. Auf dessen Smartphone findet Hae-joon verstörende Bilder malträtierter Frauenkörper. Und er erfährt, dass Seo-rae als Chinesin illegal nach Korea gekommen ist und somit erst durch die Heirat einen akzeptablen Status erreichen konnte. Dennoch umgibt sie eine Aura der Würde, die Hae-joon ebenso in Bann schlägt wie ihre unnahbare Schönheit.

Obwohl die Witwe ein Alibi vorweisen kann, kreisen seine Ermittlungen schnell ganz um ihre Person. Und bald schon ist nicht mehr klar, ob es sich bei seinen Beschattungen rund um die Uhr um notwendige Polizeiarbeit oder eher um eine private Obsession handelt. Zumal immer mehr die Grenzen zwischen Beobachtungen und halluzinierter Zweisamkeit zwischen Detektiv und Verdächtiger verschwimmen, wofür Park Chan-wook tief in die erzählerische Trickkiste greift.

Meisterschaft und neue Perspektiven

Seinen internationalen Durchbruch feierte der Regisseur 2003 mit dem alptraumhaft poetischen und exzessiv gewalttätigen Rachethriller „Oldboy“. 2016 bewies er mit „Die Taschendiebin – The Handmaiden“, dass er ähnlich durchschlagenden Erfolg bei Publikum und Kritik auch mit einem so trickreich doppelbödigen wie elegant sinnlichen Erotikthriller zu erreichen in der Lage ist. Insgesamt erhielt er für sein Werk bisher vier Einladungen in den Wettbewerb der Filmfestspiele von Cannes. Dort gewann er zahlreiche bedeutende Preise, zuletzt für „Die Frau im Nebel“ den für die beste Regie.

Und tatsächlich stellt er hier seine filmemacherische Meisterschaft ein weiteres Mal eindrucksvoll unter Beweis. Ein großartiges Bild folgt dem anderen, und jede neue Perspektive – Makroaufnahmen von Ameisen auf den Gesichtern der Toten oder Blicke durch deren Augen – fügt sich perfekt in die Sinne und Psyche destabilisierende Handlung ein.

Denn irgendwann muss der Detektiv erkennen, dass es hier nicht nur darum geht, was er über seine Verdächtige und ihre Machenschaften herausfindet. Mit jedem neuen Ermittlungsschritt und jedem Gespräch mit der bewunderten Femme Fatale erhält sein gepflegtes Selbstbild einen weiteren Knacks.

Das verwundert kaum, erinnert Seo-rae doch gleichermaßen an Hitchcocks Madeleine Elster aus „Vertigo“ wie an Catherine Tramell aus Paul Verhoevens „Basic Instinct“. Als Hae-joon schließlich meint, hinter Seo-raes Geheimnis gekommen zu sein und ihr geholfen zu haben, ist er in Wahrheit vor allem an seine eigenen Grenzen gelangt.

Was Realität ist, stellt sich in diesem Film letzten Endes immer wieder als Frage von Perspektive und Abstand dar. Nach und nach verlieren die sich umkreisenden Protagonisten ihre Distanz soweit, dass sie sich immer wieder in ein und demselben Raum aufzuhalten scheinen, auch wenn sie gerade ganz offensichtlich über Distanzen hinweg miteinander telefonieren oder sich Nachrichten schicken. Das Imaginäre wird langsam, aber sicher zur Wirklichkeit des Detektivs.

Nach Abschluss des Falls lässt er sich ausgebrannt in die morgennebelverhangene Heimatstadt seiner Frau versetzen. Dort versucht er, sich in der geordneten Ehe einzurichten, in der Sex nicht zuletzt der Gesundheit dient und Zigaretten selbstverständlich streng verboten sind. Doch dann taucht Seo-rae auch hier wieder auf. Womit die Entscheidung, sein bisheriges Leben hinter sich zu lassen, wieder drängender wird. Nicht von ungefähr heißt der Film im Englischen „Decision to leave“.

Somnabul grandios

Doch auch wenn grandios in Szene gesetzt wird, wie Körper durch Blicke oder durch ihre Abwesenheit mit Bedeutung aufgeladen werden; auch wenn Tang Wies Schauspielkunst bewundernswert zwischen Diskretion, Zurückweichen und sexuellem Locken changiert – bei aller Schönheit ist der Eindruck, der in Ansätzen immer wieder entsteht, nicht so nachhaltig, wie er bei allem betriebenen Aufwand sein müsste.

Somnambule Ermittler und existenzielle Stimmungen hat man im (asiatischen) Kino schon häufig gesehen. Hier fallen einem etwa die frühen, um einiges wirkungsvolleren Filme Won Kar-Wais ein. Und auch die feinen Abhängigkeiten und Geheimnisse, die entstehende Obsessionen begründen, sind gerade im letzten Jahr in Ryûsuke Hamaguchis Epos „Drive my Car“ entschieden zwingender gestaltet worden.

So bleibt „Frau im Nebel“ ein stilvolles Neo-Noir, das Staunen macht und im Detail begeistert – endlich einmal gibt es etwa Drohnenaufnahmen, die anders nicht zu realisierende Bilder von malerischer Qualität generieren. Zum Meisterwerk fehlt dann aber doch der finale Aha-Effekt beziehungsweise die eine besondere Zutat, die die Beziehung der Protagonisten einzigartig machen würde.

Die Frau im Nebel, Regie: Park Chan-wook (138 min) mit Park Hae-il, Tang Wei, Lee Jung-hyun u. a.

In fremden Körpern

Wie wäre es, den eigenen Körper zu verlassen und sich mit unverändertem Bewusstsein in einem anderen wiederzufinden? Wäre das Selbst noch dasselbe? Und was würde eine solche Erfahrung für unsere Vorstellungen von Identität, Liebe und Begehren bedeuten, für alles, was uns im Kern ausmacht? Fantasy und Science-Fiction haben sich immer wieder damit beschäftigt, grundlegende menschliche Fragestellungen experimentell-spielerisch auszubuchstabieren – und dabei oftmals überraschende Einsichten zu Tage gefördert. Hieran versucht sich auch „Aus meiner Haut“, der erste abendfüllende Spielfilm des deutschen Regisseurs Alex Schaad.

Insel der Körpertauscher

Leyla (Mala Emde) und Tristan (Jonas Dassler) sind ein zärtlich eingespieltes Paar. Auf Einladung von Leylas Schulfreundin Stella besuchen sie diese auf einer abgelegenen Insel. Hier ist einiges anders als in ihrer normalen Umgebung. Das zeigt sich bereits bei der Begrüßung, als Stella sie im Körper ihres Vaters (Edgar Selge) empfängt. Der hat, wie Leyla, Tristan und das Publikum bald erfahren, einst die Geheimnisse des Körpertauschs entdeckt und bietet Paaren seitdem Erlebnisseminare an, während derer sie sich buchstäblich in den anderen hineinversetzen können. Als Stella und ihr Vater selbst, wie es häufiger geschah, die Körper getauscht hatten, starb er jedoch unverhofft, weshalb Stella als alter Mann weiterleben muss. Ein letztes Mal will sie nun an seiner Stelle die Zeremonien leiten.

Hierfür werden per Los zunächst je zwei Paare einander zugewiesen, dann tauschen jeweils die Männer und die Frauen ihre Körper. Leyla und Tristan geraten an Fabienne (Maryam Zaree) und Mo (Dimitrij Schaad), die in vieler Hinsicht ganz anders sind als sie selbst, was ihren Darstellern in der Folge die Möglichkeit gibt, komödiantisch aufzutrumpfen. Dann jedoch erweist sich die Erfahrung für Tristan und Leyla als sehr verschieden. Während Tristan das Experiment abbricht und damit für alle vier beendet, hat Leyla sich im neuen Körper zum ersten Mal seit langer Zeit wieder positiv selbst erlebt. Nun trachtet sie danach, diese Erfahrung mit allen Mitteln fortzusetzen.

Changiert der Film bis hierher etwas unentschlossen zwischen Esoterik, Folk-Horror und Groteske, gewinnt er mit der Fokussierung auf die Liebenden und ihre unterschiedlichen Empfindungen und Bedürfnisse deutlich an Tiefe. Etwas mehr Konzentration und der Verzicht auf überdeutliche Symbolbilder hier und da hätten ihm gutgetan. Doch auch so ist ein Debut entstanden, das relevante Fragen in spannende Unterhaltung umsetzt.

Aus meiner Haut, Regie: Alex Schaad (104 min) mit Mala Emde, Jonas Dassler, Thomas Wodianka u. a.