„Seitdem der Krieg ist, wohne ich im Keller“ hat Knarf Rellöm angesichts des 2. Golfkriegs 1991 getextet. Und es stimmt natürlich momentan für mich und all die anderen Kriegsgegner in Deutschland sowie im größten Teil Europas so wenig, wie es damals für ihn oder sein Publikum gestimmt hat. Dennoch ist das Grundgefühl, ist jedes Erschrecken gerechtfertigt und nachvollziehbar. Dennoch kann und muss der Überfall auf die Ukraine, einen souveränen Staat, dessen Bevölkerung sich für andere Weichenstellungen hinsichtlich Politik und Zivilgesellschaft entschieden hat, als es dem tyrannischen großen Nachbarn lieb ist, als nicht hinnehmbares Verbrechen verurteilt werden. Und auch wenn es nie angemessen ist, Gewalt und Schrecken mit anderer Gewalt und anderem Schrecken zu vergleichen, sollte nicht vergessen werden, dass Kriege, Militäroperationen, Terror und Zündeleien stets zum Tagesgeschäft von Regimen gehört haben und noch immer gehören, die sich anders wenig Zustimmung zu sichern vermögen.

Mit Vorsicht zu genießen sind allerdings die auch im Bekanntenkreis geäußerten Wünsche, man würde doch zu gern selbst zur Waffe greifen und sich bei den internationalen Brigaden einreihen. Wie damals in der großen revolutionären Zeit in Spanien. Aber einfache Einteilungen der Welt in Gut und Böse, Renationalisierungen, neue Kriegskredite und die militärische Verteidigung „unseres Lebensstils“ können kaum adäquate Lösungen sein, solang die so genannte freie Welt nur für einige – und immer weniger – Menschen als solche erscheint.

Nicht von ungefähr hieß die „Huah“-LP, auf der Knarf Rellöms „Kriegs-Song“ zuerst erschien „Scheiß Kapitalismus“. Nach wie vor stimmt es nämlich einfach nicht, wenn Rechts- und Institutionengläubige immer wieder behaupten, „wir“ hätten uns viel zu lang damit beschäftigt, den Kapitalismus zu kritisieren.

Ganz im Gegenteil ist bisher keine signifikante Bewegung hin zur Überwindung bestehender schlechter Verhältnisse zu bemerken, die Zeichen für eine ausreichende Beschäftigung mit Kapitalismuskritik wäre. Noch immer sind die Zusammenhänge zwischen den ökonomischen Grundlagen der gesellschaftlichen Organisation und den politischen Strategien der herrschenden Klassen weder zur Genüge durchdrungen noch die Ergebnisse dieser Durchdringung ausreichend im allgemeinen Bewusstsein angekommen.

Nach dem Ende der Blockkonfrontation hieß es, Kriege zwischen Nationen gehörten in einer Zeit des globalen Handels, der repräsentativen Demokratien, des Rechts sowie einer allen zugänglichen mehr oder weniger universellen Kultur der finsteren Vorgeschichte an. Gab es dennoch Auseinandersetzungen mit Toten und Waffengewalt, wurde von Aufständen gesprochen oder von Terror. Doch im Krieg gegen den Terror wie gegen die Drogen rüstete vor allem der gute alte Nationalstaat an allen Fronten wieder auf.

Mit der Übernahme der Staatsgewalt durch autoritäre Rackets auf allen Kontinenten und bis in die Hauptstädte des „Westens“ haben zudem nationalistische Mobilisierungen seit langem wieder an Bedeutung gewonnen. Bereits im Falklandkrieg von 1982 nahm Großbritannien zur Durchsetzung seiner territorialen Ansprüche in Übersee einen zwar kurzen, aber dennoch blutigen Krieg gegen Argentinien in Kauf – mit insgesamt etwas über 900 Toten. Bis heute sind die Rangeleien der beiden Regierungen um die Inselgruppe, deren Bewohner sich zuletzt in einem Referendum von 2013 für den Verbleib im Vereinigten Königreich entschieden haben, nicht ausgestanden. Und auch auf dem Balkan steigt durch Sezessionsgelüste erneut die Gefahr bewaffneter Konflikte.

Wie dem auch sei. Ein Krieg in der Ukraine weckt Erinnerungen an Zeiten, in denen diese Weltgegend schon einmal innerhalb der letzten hundert Jahre weitgehend verwüstet und in eine Todeszone verwandelt worden ist. Viele Reaktionen lassen an die Außenpolitik um 1914 denken. Und Putins Drohung mit Atomwaffen holt die Ängste aus den Jugendtagen meiner Generation wieder aus dem Keller des Unterbewussten hervor, wo sie über Jahrzehnte gemütlich eingestaubt waren.

Dabei hatte das Jahr mit einem Editorial des Verfassungsblogs im Januar so verheißungsvoll begonnen. Unter der Überschrift „Zuversicht und Vorsicht“ hieß es da: „Mit etwas Glück wird 2022 ein ganz erfreuliches Jahr“ Die Chance scheint vertan, das Glück hatte wohl anderes vor.