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„Die Menschen sind immer so freundlich, wie sie es sich leisten können“, bemerkt eine Protagonistin etwa in der Mitte von Bong Joon-hos neuem Film „Parasite“. Damit bringt sie den Kern der Satire auf den Punkt, in der der südkoreanische Regisseur ein weiteres Mal markant das Bild einer tief gespaltenen Gesellschaft im permanenten Stellungskrieg zeichnet. Hat er dafür bisher Monster- oder Zukunftsszenarien bemüht, entfaltet sich der Horror hier über weite Strecken fast naturalistisch. Bongs Vision scheint tatsächlich nur mehr einen Pfirsichwurf von aktuellen sozialen Schräglagen entfernt. Dabei gelingt es ihm – gerade im Vergleich mit Joker –, seine Kritik filmisch wie erzählerisch durchaus originell vorzutragen.

Klassenkampf auf Koreanisch

In ruhig quadrierten Einstellungen und großteils zurückgenommener Farbigkeit entwirft er ein Setting, in dem abgehängte Arme und schwerreiche Leistungseliten getrennte Welten bewohnen. Fast nie kommen sie miteinander in Berührung. Dennoch gibt es für die ganz unten wenig andere vorstellbare Richtungen als die nach oben – dahin, wo der Reichtum zu Hause ist, der als Allheilmittel fetischisiert wird und die Macht hat, alle hässlichen Falten des menschlichen Daseins wegzubügeln, wie es einmal heißt.

Zu den auf dem Arbeitsmarkt Aussortierten und ganz unten Angekommenen gehört die Familie Kim. Vater Gi-taek (Song Kang-ho), seine Frau Chung-sook (Chang Hyae-jin), eine ehemalige Leistungsportlerin, sowie die erwachsenen Kinder Ki-Jung (Park So-dam) und ihr Bruder Ki-woo (Choi Woo-shik) fristen ihr Dasein in einem schimmlig vollgestellten Keller. Immer sind sie auf der Jagd nach Aushilfsjobs oder unverschlüsseltem WLAN, das ihnen den Anschluss an den Rest der Welt ermöglichen soll. Immer gibt es dabei Ärger, wie mit dem unzufriedenen Abnehmer der Pizzakartons, die ordentlicher hätten gefaltet worden sollen, oder den Körpern werden anstrengende Verrenkungen abverlangt, um das letzte schwache Signal direkt unter der Decke zu erreichen.

Familienbande

Die Chance auf eine Verbesserung ihrer Lebensumstände kommt für die Kims, als ein privilegierter Jugendfreund Ki-woos diesem anbietet, seine Nachhilfeschülerin Da-hye (Jung Ziso) für ihn zu betreuen, während er selbst ein Semester im Ausland verbringt. Durch seinen Hauslehrerjob erhält Ki-woo Zutritt zur Welt der vom Schicksal begünstigten Parks. Vom ersten Augenblick an setzt er alles daran, das Vertrauen nicht nur seiner neuen Schülerin, sondern ihrer ganzen Familie zu gewinnen. Psychologisch versiert und mit einem gewissen Maß an improvisierter Schauspielkunst gelingt es ihm nach und nach, sich unentbehrlich zu machen und die Angehörigen seiner eigenen Familie ebenfalls in den noblen Haushalt und die ikonische Immobilie der neuen Arbeitgeber einzuschmuggeln.

Mit seiner Betonung von List und Familienzusammenhalt beim Kampf gegen das Versinken im Elend erinnert „Parasite“, der in diesem Jahr in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurde, einerseits an „Shoplifters“, den Siegerfilm aus dem Vorjahr. Andererseits zeigt er Bong ein weiteres Mal – mit nur geringfügigen Längen gegen Ende – als Meister des Genremixes. Neben sozialrealistische Momente stellt er an „Kevin – Allein zu Haus“ (1990) erinnernde Komödienanteile und Suspense-Szenen, die wie bei Hitchcock genussvoll mit dem Wissensvorsprung des Zuschauers vor den Protagonisten spielen. Und selbstverständlich kommt auch das Schwelgen im blutigen Exzess, wie es spätestens mit den Filmen Park Chan-wooks (etwa „Old Boy“ vom 2003) zu einem Signum des aktuellen koreanischen Kinos geworden ist, nicht zu kurz.

Vorn und hinten, oben und unten

Ähnlich wie bereits Bongs Verfilmung der Graphic Novel „Snowpiercer“ von 2013, zieht „Parasite“ alle Register der jeweiligen Genres, ohne darüber den Blick für die notwendige Konsistenz zu verlieren. Jeder Einfall ordnet sich der klaren und doch stellenweise raffiniert doppelbödigen Struktur des Films unter. Musste sich die Gruppe Aufständischer in „Snowpiercer“ noch horizontal vom verwahrlosten hinteren Ende eines Zuges in die Spitze der Elite vorkämpfen, nutzt „Parasite“ nun eine eingängigere vertikale Logik von Oben und Unten. Im Bild repräsentiert wird sie immer wieder durch Treppen – sowohl zwischen unterschiedlich bewerteten Stockwerken als auch zwischen den Stadtteilen der Villen- und Slumbewohner. Der Erfolg im Kampf um Status hängt davon ab, ob es gelingt, Raum in begehrten Lagen zu besetzen; für Familie Kim heißt das konkret, ihr Dasein im Haus der Parks abzusichern und auf Dauer zu stellen.

Das gerät aber alles andere als simpel. Zum einen tun sich immer wieder Untiefen auf, wo sie nicht unbedingt zu erwarten gewesen wären, etwa wenn sich auf einmal weitere Konkurrenten um die begehrten Orte einfinden. Zum anderen sind die Figuren vielschichtig genug angelegt, um das Zusammenschnurren der Fabel auf ein einfaches Arm gleich Gut gegen Reich gleich Böse zu vermeiden. So klar die Intentionen der Charaktere durch die jeweilige Stellung in der Hierarchie und bereits erlittene Erniedrigungen geprägt sind, so sehr unterscheiden sie sich im Einzelnen in ihren Handlungen und Haltungen

Abhängigkeit und Geruchssinn

Bis in die antagonistischen Gruppen hinein wirken zudem verschiedene en passant in Szene gesetzte Abhängigkeiten, so dass bisweilen nicht gleich zu entscheiden ist, ob eine innerfamiliäre Handgreiflichkeit im nächsten Moment in blanke Gewalt ausarten oder in ein letzten Endes liebevolles Geplänkel münden wird, mit dem die Eltern ihren Kindern eine Lektion erteilen wollen.

Dass auch die arbeitslose Unterklasse noch über Bildung und Zugang zu Wissen und kulturellen Codes verfügt, lässt selbst für sie den Traum vom Aufstieg möglich erscheinen. Wäre da nicht der Geruchssinn der deodorierten und gut gelüfteten Oberklasseangehörigen. Nicht zuletzt ist er es, der dazu beiträgt, dass sich ein einmal eingenommener sozialer Stand stetig verfestigt und seine Überwindung in immer weitere Ferne rückt. Denn den Geruch feuchter Keller und billigen Waschmittels werden die Kims bei aller sonstigen Findigkeit nicht so einfach los. Und selbst das Wetter wird je nach Positionierung in der gesellschaftlichen Hierarchie völlig anders erlebt – als letztlich romantisches Ambiente beim Sex auf dem Sofa im Hause Park. Oder als lebensbedrohende Katastrophe, wenn Wohnkeller und niedrig gelegene Stadtviertel überflutet werden und sich die Regenmassen mit dem Abwasser aus der verstopften Kanalisation vereinigen, um die letzten hier gehorteten Habseligkeiten wegzuspülen und zu vergiften.

Pfirsichmord und rotes Blut

Die Frage, die sich im geschilderten Setting bei jedem Feststecken immer wieder stellt, lautet denn auch, ob irgendjemand einen Plan hat, um der nächsten jeweils schlimmeren Misere und dem mit ihr verbundenen neuerlichen Absturz zu entkommen und stattdessen weiter nach oben aufzurücken. Manchmal allerdings scheint es, wie Gi-taek, der Vater, am Tiefpunkt feststellt, besser, keinen Plan zu haben, da sich dann wenigstens keine weiteren Enttäuschungen einstellen können. Doch wenn die ständigen Demütigungen irgendwann zu unerträglich werden, bleibt nur noch eins: Man lässt es auf die vollständige Eskalation ankommen, auf die sowieso alles von Beginn an hindrängt. In ihrem Verlauf kann selbst ein Pfirsich zur tödlichen Waffe werden, und selbstverständlich fließt dann auch noch eine Menge sehr rotes Blut.

Parasite, Regie: Bong Joon-ho, mit Song Kang-ho, Lee Sun-kyun, Cho Yeo-jeong u. a. (131 min)