Bekanntlich können Waren „nicht selbst zu Markte gehen und sich selbst austauschen“. Damit also eigensinnige geistige Schöpfungen überhaupt die Chance haben, sich im Wettbewerb des systemischen kulturellen Überangebots zu bewähren, muss unweigerlich Reklame ins Spiel kommen, deren Geschäft der Waren- und Markenerfolg ist, weil es sonst was setzt. So zumindest sinngemäß die amerikanische Werbeikone David „We sell or else“ Ogilvy. Deshalb jetzt die Jahres-Polls 2017.

 

Büchermarkt

Okay, Platz eins ist ein internationaler Bestseller, der Anfang 2017 und ein gutes Jahr nach dem Erscheinen der Originalausgabe auf Deutsch erhältlich ist. Und zwar einer der größten: Jonathan Safran Foers „Hier bin ich“. Knapp 700 Seiten Wahnsinn: Die Geschichte des Auseinanderbrechens einer jüdisch-amerikanischen Mittelstandsfamilie vor dem Hintergrund der Vision einer geopolitischen Krise. Großteils erzählt in grandios redseligen Dialogen, großartig zwischen den einander entfremdeten Ehepartnern, unglaublich in den Kommentaren und Überlegungen der Kinder. Kann man sich auch sehr gut von Christoph Maria Herbst vorlesen lassen (was ich auch nicht erwartet hätte.) Oder erst mal beim Guardian diesen schönen Podcast mit dem Autor anhören.

Platz zwei entfällt aufgrund der alles umfassenden Wucht von Platz eins. Stattdessen noch folgende Empfehlungen aus den letzten Jahren: das Roman-Pendant zu Didier Eribons soziologisch-autobiographischen Wurf „Rückkehr nach Reims“ (2016) – „Das Ende von Eddy“ von Edouard Louis. Der hat zwar 2017 einen neuen Roman vorgelegt, aber der erste passt in seiner Schilderung der nahezu unglaublichen Verhältnisse im ländlichen Frankreich einfach zu perfekt zum vergehenden Wahljahr im Angesicht des anscheinend weiterhin unaufhaltsamen Aufstiegs des Populismus. Was aus den französischen auf beispielsweise brandenburgische Verhältnisse übertragen werden kann, lässt sich leicht ausmalen.

Selbstverständlich auch in den Jahres-Polls gelobt gehört – als eins der tollsten deutschsprachigen Provinzbücher ever: Saša Stanišićs „Vor dem Fest“.

Was die Theorie angeht, habe ich zu den drei wichtigsten Neuerscheinungen der letzten beiden Jahre hier einige Sätze gesagt. Beziehungsweise mit ihnen.

 

Musik

Hier muss zunächst ein Jahrzehnte anhaltendes Versäumnis eingeräumt werden. Aus irgendeinem Grund sind Oxbow circa dreißig Jahre an mir vorbeigegangen. Warum? Keine Ahnung. „Thin Black Duke“, ihr siebtes Album, jedenfalls ist – in den Worten meines alten Freundes und früheren Mitbewohners Hercules Rockefeller – „das Album des Jahres 2017-23“. Wo er recht hat, hat er recht. Nachhören.

Die zweite Entdeckung 2017: L.A. Salami. Ein Londoner Künstler, irgendwo zwischen …

„Lookman Adekunle Salami – ‘L.A. Salami’ – is a rare breed of musician that the world has been craving since the height of storytelling legends like Joni Mitchell, Paul Simon and Neil Young. Not quite folk, not quite indy, not quite common and certainly not boring, L.A. Salami’s lyricism and voice are hypnotic“, sagt die Beschreibung auf Bandcamp. Meine Assoziationen gingen eher in Richtung Dylan-Bowie-Hendrix ohne Reiten irgendwelcher Nostalgiewellen. Gesehen (zufällig) auf dem Appletreegarden Festival in Diepholz/Niedersachsen.

„Dancing with Bad Grammar“, die Platte aus dem letzten Jahr, ist bis zum Erscheinen des für 2018 angekündigten nächsten Doppelalbums „The City of Bootmakers“ jedenfalls der Hit. Facettenreich, schön, düster bis up-cheering, kunstvoll arrangiert und reduziert einfach. Anspieltipp: „I Wear This Because Life Is War“

 

Schande über mich für alles, das ich vergessen habe. Film- und Serien-Topps folgen zu gegebener Zeit.

Vielleicht noch dies: Wein des Abends: Mercedes Eguren, 2015er Cabernet Sauvignon.