Nachdem die Zeiten der euphorischen Verschränkung von Nachtlebenkultur und Selbstausbeutung in so genannten kreativwirtschaftlichen Nischen zumindest für die ersten beiden Generationen allmählich vorbei scheinen, geht der Trend bei gereiften Protagonisten ganz offensichtlich zu neuen Formen von Freizeit-Buddhismus und Neo Schamanentum.

Hatte es Avi im Privaten bereits seit Jahren verwundert, dass einstmals politisch wache Köpfe sich seit Ende der Neunziger darauf verlegten, ihren Reise- und Lebenshedonismus (um deren ungefiltertes Ausleben man sie unter Umständen noch hätte beneiden können) mit krudesten Weltverschwörungstheorien kurzzuschließen, so war jetzt offensichtlich die nächste Welle im Anrollen: Lebensberichte von zu Neo Schamanen bekehrten Ex-Art-Direktoren mitten aus dem Zentrum der Agenturlandschaft. Und mit einiger Sicherheit konnte man annehmen, dass das, was Harald Renkel und andere bisher im Selbstverlag herausgaben, schnell auch von Publikumsverlagen als aktuelles Update eigentlich überholt geglaubter Trends entdeckt und breit vermarktet werden würde. Man google dazu bei Interesse selbst.

Oder – besser – man beschäftige sich mit der anderen Seite. In der Jungle World findet sich diese Woche ein interessantes Interview mit zwei Mitgliedern von Crimethinc, einem dezentralen anarchistischen Kollektiv, das sich unter anderem Gedanken darüber macht, wie in nachrevolutionärer Zeit mit Call Centern und anderen Auswüchsen des derzeitigen Kapitalismus umgegangen werden soll: „Das wird ganz anders aussehen als in den Phantasien der Leute vor hundert Jahren, als die Idee war, dass wir einfach die Fabriken für uns arbeiten lassen, dass wir einfach weiter Waren produzieren. Heute, da immer mehr Leute Dinge tun, die außerhalb des kapitalistischen Rahmens keinen Sinn ergeben wie beispielsweise Telefonmarketing, wird die Beschlagnahmung der Produktion tatsächlich viel destruktiver aussehen. … Es gibt keine natürliche Welt, zu der man zurückkehren könnte. Es wird keine primitivistische Zukunft gebeben, sondern eine Steampunk-Zukunft, in der all die vom Kapitalismus produzierten Trümmer einem Nutzen zugeführt werden.“

Im Gegensatz zum esoterischen Rollback in Berlin Mitte gibt es hier jedenfalls eine ganze Menge Bewusstsein in Bezug auf einige die Gegenwart prägenden Realitäten wie die mannigfaltigen Arten der Vergesellschaftung inmitten gleichzeitig existierender und zu überwindender Widersprüche. Vor allem aber dafür, dass die Inseln, auf denen sich von Dingen wie dem Ausstieg ins Schamanentum halluzinieren lässt, enger werden und umkämpfter. Was dann eben auch heißt, dass Felder, auf denen es keine Emanzipation, keine Revolution und keinen Fortschritt gibt, vom Faschismus besetzt werden können. Nachzulesen demnächst hier.

Apropos nachlesen. Hier noch der erweiterte Teaser zu irgendetwas ganz Großem, das irgendwann einmal kommen wird. Als Gesellschaftsroman nach den Gesellschaften, wie wir sie kennen, als Film oder ganz anders: Strand der Toten