Bereits nach zwei Jahren, sagen Schätzungen berufener Experten, sei bei mindestens 80 Prozent aller Lottogewinner der Reichtum verprasst; ein Gutteil der kurzfristig Triumphierenden finde sich sogar zerstörter und kaputter wieder, als sie es im alten Leben vor Einbruch des Reichtums gewesen wären (so zum Beispiel die FAZ bereits vor sieben Jahren; noch heute erscheint der Eintrag bei Google auf die Anfrage „statistik lottogewinner“ übrigens auf dem 3. Rang. Das Thema beschäftigt also weiterhin).

Diese Art der Konsens- und Trivialmythologie zum Thema „Wundersamer Ausstieg aus Klasse und prekärer Situation“ scheint weit verbreitet und geteilt. Dahinter verbirgt sich nicht zuletzt der Wunsch, dass es auch so sein solle. Dass das ungnädige Schicksal es mit den armen Gewinnern eben nicht anders als böse meinen dürfe und könne.

Und selbstverständlich bedeutet die Einsicht in seine Bösartigkeit dem Spieler zugleich die Hoffnung, dass das Schicksal in naher Zukunft ja endlich zum finalen Schlag gegen ihn, den von Gang der Dinge sowieso schon immer gegängelten, ausholen – und durch einen enormen Lottogewinn den Einstig in seinen finalen Untergang einleiten könnte. In der Folge würde der solchermaßen Geschlagene dann durch heroische Arbeit am Selbst allen Widrigkeiten zum Trotz zuletzt derjenige sein, der jenem Schicksal eben doch standhielte und ihm sein wohlverdientes Schnippchen schlüge. – Das versteht sich zwar nicht von selbst, ist aber doch die lebenserhaltende Hoffnung all jener, die Woche für Woche ihre Kreuzchen machen. Zumal in Zeiten, in denen die Schlupflöcher aus den sich zunehmend ungemütlicher gestaltenden Verhältnissen seltener und enger werden. Und keine noch so heldenhafte Selbstbearbeitung mehr ausreicht, die eigene Position aus eigener Kraft zu verbessern.

Daran arbeitet aber – und zwar erfolgreicher denn je, wenn man der aktuellen Jungle World hier Glauben schenken darf – eine neue, starke Flüchtlingsbewegung. Christian Jakob berichtet in seinem Artikel „Auf der Flucht und in der Offensive“ gar, dass es scheine, als „habe mit dem Marsch und der »Tent Action« die gesamte Szene [aus sonst eher nebeneinander oder gar gegeneinander agitierenden Gruppen von Aktivisten mit migrantischem Hintergrund und Unterstützern] endlich das gefunden, wonach sie seit über zehn Jahren gestrebt hatte: einen gemeinsamen bewegungspolitischen Fixpunkt.“

Gleichzeitig seien hinsichtlich der staatlichen Flüchtlingspolitik seit einiger Zeit durchaus Verbesserungen festzustellen. So könne in Folge eines Urteils des Bundesverfassungsgerichtes das diskriminierende Asylbewerberleistunggesetzt heute tatsächlich kurz vor dem Aus stehen. Und auch Residenzpflicht, Heimunterbringung und Sachleistungen gehören nach dieser optimistischen Lesart bald vielleicht schon der Vergangenheit an. Aber selbst wenn das noch Zukunftsmusik ist und die Schritte auf dem Weg dorthin kleiner ausfallen als erhofft: Neben den unmittelbar durch die deutsche Rechtspraxis Betroffenen werden wahrscheinlich einige im historischen Umfeld des sogenannten Asylkompromisses politisch sozialisierte Menschen das Signal vernehmen, dass sich manchmal – mit viel Engagement und Einsatz – Dinge eben doch ein Stück weit ändern lassen. Wenn sie so etwas denn noch hören.